Mark Zuckerberg sieht es als eine tiefgreifende Ergänzung unserer realen Welt, Elon Musk ist dem Konzept gegenüber skeptisch, Philip Rosedale hat seinen Glauben an die Menschheit und deren Glauben in die reale Welt noch nicht verloren: Das Metaverse ist momentan in aller Munde. Tech-Experten, und wer sich als solche sieht, träumen von einer virtuellen Welt, in der wir uns frei bewegen, uns eine Existenz aufbauen und sogar Geld verdienen können. Was steckt dahinter?

Am 28.10.2021 stellte sich Facebook-Gründer Mark Zuckerburg vor die Kamera, um eine neue Ära einzuläuten. Angelehnt an die charismatischen Produktvorstellungen von Steve Jobs, dem das Kunststück mit den Ären mehrmals gelungen ist, spricht der etwas zu blass geratene Milliardär mit dem Do-It-Yourself-Haarschnitt über eine neue Welt, die nicht nur die virtuelle, sondern auch unsere reale Welt auf den Kopf stellen soll: das Metaverse.
Zuckerbergs Vision
Eine virtuelle Welt, in der wir uns frei bewegen können, uns gar eine Existenz aufbauen sollen und in der wir bestenfalls den Großteil unserer Zeit abseits der Realität verbringen wollen. Wir sollen dort „arbeiten, lernen, spielen und shoppen“ (Mark Zuckerberg). Wir können virtuelle Grundstücke erwerben, um dort unser Heim einzurichten; eigens für das Digitale entworfene Kleidung kaufen, um dann damit auf virtuelle Meetings mit anderen Avataren teilzunehmen; wir können rein digitale Kunst schaffen, die in dieser und wohl auch in der realen Welt Unsummen wert sein wird.
Wild fuchtelnd, gepaart mit geskripteter Begeisterung, müht sich Zuckerberg über eineinhalb Stunden als Präsentator und Interviewer ab, um den Menschen ihre vermeintliche Zukunft zu zeigen und dabei nebenbei zu erwähnen, dass er sein Unternehmen kurzerhand von Facebook zu Meta umbenennt. Dummerweise schafft er in dieser Zeit nicht, ein griffiges Konzept zu vermitteln. Je konkreter er sein will, umso vager bleibt er in seinen Ausführungen. Das hat auch seinen guten Grund: Was dieses Metaverse in Zukunft sein wird, das kann auch ein Visionär wie er nicht wissen. Denn Meta ist nicht das erste und schon gar nicht das einzige Unternehmen, das auf die Umsetzung eines solchen Konzepts schielt.
Neues Leben im Second Life
Ein erster Versuch, so etwas wie eine virtuelle Welt zu schaffen, in der wir uns sozusagen ein zweites Leben als Avatar aufbauen können, war und ist das 2003 von Philip Rosedale entwickelte Second Life. Second Life ist eine von Benutzern gestaltete virtuelle Welt (aka Metaversum), in der Menschen durch Avatare interagieren, spielen, handeln und anderweitig kommunizieren können.
Dieser erste Versuch, die Menschen von der realen Welt in ein Metaversum zu integrieren, gelang für die damalige Zeit außerordentlich gut. An seinem Höhepunkt 2011 zählte Second Life eine Million aktive User. Doch das Projekt begann zu stagnieren und schließlich auf eine kleine Community nibelungentreuer User zu schrumpfen.
Big Tech stürzt sich aufs Konzept
Während das Pionierprojekt langsam, aber sicher versucht, wieder aufzustehen und eine tragende Rolle in dieser Vision einzunehmen (Rosedale ist nach seinem Ausstieg 2009 in beratender Funktion zurückgekehrt), haben auch andere Unternehmen den Anspruch, etwas vom Kuchen abzubekommen.
Microsoft hat dafür die Spielesoftwarefirma Blizzard für 69 Milliarden übernommen. Blizzard verfügt durch die Spiele World of Warcraft und Call of Duty eine lebendige Community. Und gerade die Expertise durch das Online-RPG WoW mit seinen unendlichen, bis ins letzte Detail durchgeplanten Welten dürfte bei der Erschaffung eines eigenen Metaversums Microsoft in die Hände spielen.
Die Newbies
Zwei noch etwas unter dem Radar fliegende Beispiele sind The Sandbox und Roblox. Grafisch lehnt man sich stark an das Kultspiel Minecraft an, was der Welt einen kindlichen, fast cyber-romantischen Touch verleiht, aber ästhetisch nicht jeden ansprechen wird.
Decentraland hingegen ist (wie auch The Sandbox) eine auf Blockchain-Technologie basierende Welt, die sich vom Konzept sehr stark an Second Life anlehnt. Wie beim Vorbild bewegt man seinen Avatar durch eine grafisch noch nicht ganz ausgereifte Welt, bezahlt mit einer eigenen Währung, kann Grundstücke erwerben und im Grunde dort ein zweites Leben führen.
Das große virtuelle Geschäft
Alle drei, also Decentraland, The Sandbox und Roblox, bieten einen guten Ausblick darauf, wie nicht nur ein Leben rund um ein virtuelles Alter Ego aufgebaut werden kann, sondern darin auch bisweilen viel Geld verdient werden kann.
Tatsächlich tummeln sich zum Beispiel auf The Sandbox Online-Immobilienmakler, die „Grundstücke“ um – nennen wir es Liebhaberpreise – verkaufen. So ein Liebhaberpreis kann dann auch mal bedeuten, dass man eine knappe halbe Million Dollar investiert, um ein virtuelles Grundstück neben dem von Snoop Dogg zu erwerben, wie es Ende Dezember ein nicht bekannter Käufer gemacht hat.
Musks Einspruch
So groß die Erwartungen in dieses neue Metaverse sind und so präsent das Thema momentan in einschlägigen Medien und dem Mainstream ist, gibt es auch Individuen, die der Idee wenig bis gar nichts abgewinnen können. Darunter niemand Geringeres als Tesla-Boss und Tech-Guru Elon Musk.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich jemand den ganzen Tag einen verdammten Bildschirm auf die Nase setzt, um so den ganzen Tag zu verbringen“, so Musk in einem Interview für die Plattform The Babylon Bee Ende Dezember 2021.
Musks Einschätzung darf dabei nicht nur als Expertenmeinung gelten. Etwas Kalkül von Seiten des aktuell reichsten Mannes der Welt schwingt hier mit: Denn mit Neuralink befindet sich Musks eigene Vorstellung einer erweiterten Realität gerade in der Entwicklungsphase.
Besser einen Chip im Gehirn
Geht es nämlich nach Musk, lassen wir uns in Zukunft einen Chip ins Gehirn pflanzen, mit dem wir sogar telepathisch kommunizieren sollen. Zunächst soll Neuralink rein medizinischen Zwecken nutzen. Der Chip soll Nervenverbindungen simulieren, damit zum Beispiel querschnittsgelähmte Menschen wieder laufen können.
Doch auch die Idee des Tesla-Gründers wird skeptisch beäugt. Die Tierversuche an Schweinen und Affen hatten teilweise fatale Auswirkungen. Einige Tiere starben laut Angaben von Tierschützern nach der Implantation.
Wohin die Reise geht?
Es steht außer Frage, dass unsere Zukunft noch einige Überraschungen für uns bereithält. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass auf den ersten Blick verheißungsvolle Ideen wieder im Nirvana der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind.
Aber sie hat uns auch gezeigt, dass einige Ideen zwar von ihrem Ursprungskonzept abweichen, aber auf die eine oder andere Art Einzug in unseren Alltag gehalten haben (wie es zukünftig wohl die Nachfolger der Google Glasses tun werden); oder dass sie nach kleineren Anlaufschwierigkeiten genauso gekommen sind, wie es prophezeit wurde.
Ob wir jemals dafür bereit sind, unserer Realität zugunsten eines virtuellen Metaversums den Rücken zu kehren, darf an dieser Stelle bezweifelt werden. Gleichzeitig müssen und können wir uns darauf vorbereiten, unseren Wahrnehmungshorizont digital zu erweitern, sei es in der Arbeit oder in unserem Alltag.