Event Troubled Waters: Eine Debatte in Nuancen

Wo zieht sich die Grenze zwischen Wasserverbrauch und Wassernutzung? Wann ist es ein Luxusprodukt, wann Lebenselixier? Und wann sprechen wir von Trinkwasser und wann von Nicht-Trinkwasser? Diese Fragen scheinen auf den ersten Blick recht leicht zu beantworten. Doch wie so oft sind es Nuancen, die die Antwort bestimmen. Nuancen, die der Rolle, der Einstellung, der Ziele der unterschiedlichen Menschen und ihrem Verständnis von Wasser zugrunde liegen.

Es waren Fragen, die sich mit vielen anderen wie ein roter Faden durch die ganze Podiumsdiskussion „Troubled Waters – Südtirols endlich unbegrenzte Ressource“ am Donnerstag, 22. September, hier bei uns im DGTL Circus gezogen haben. Eine Debatte, die durch ihre thematischen Komplexitäten zahlreiche Wendungen erfahren hat. Sie konnte zwar sowohl die Redner und die Moderatorin als auch das Publikum nicht mit absoluten Antworten bedienen; aber bei den Anwesenden einen Schalter umlegen, Anreize schaffen, Wasser als viel mehr zu betrachten, als es unser Bewusstsein für diese allgegenwärtige und doch so kostbare Ressource bis dato annimmt.

Ein Thema, drei Redner, viele Hintergründe

Wenn wir von den Rollen, der Einstellung und den Zielen der Anwesenden sprechen, dann eröffnet sich uns mit Blick auf die Protagonisten dieses Abends ein breit gefächertes Spektrum an Ansätzen und Herangehensweisen an das Thema.

Gleich neben der Moderatorin Evi Keifl sitzt Lorenz Gruber vom Sales-Team des internationalen Konzerns BWT, ein globaler Player, der mit seinen Wasseraufbereitungssystemen profitorientiert eine bessere Welt mit Wasser für alle schaffen will, indem nicht unwesentlich in die Natur eingegriffen wird.

Links neben Gruber sitzt Martin Hofer, Verwaltungsratsmitglied vom Schweizer Ableger des Südtiroler Schneekanonenherstellers TechnoAlpin. Ein Unternehmen, dessen immenser Wasserverbrauch nicht nur die eigene Existenzgrundlage sichert, sondern damit Arbeitsplätze in den Tälern, in den höheren Lagen und den angrenzenden Skigebieten schafft und sichert.

Und zu guter Letzt Georg Niedrist, Forscher am Institut für Alpine Umwelt bei Eurac Research. Also ein Mann, der seine Forschungstätigkeit zum Erhalt unserer Natur einsetzt und Daten sammelt, um die Gesellschaft über bedenkliche Verschiebungen, Verwerfungen und Veränderungen in unserem Ökosystem aufzuklären. Gleichzeitig ist Niedrist aber auch Landwirt im Obst- und Weinbau und gehört somit selbst eigentlich jenem Sektor an, der weltweit mit 69 % für den höchsten Wasserverbrauch (oder -nutzung?) verantwortlich ist.

Die zuweilen widersprüchlichen Hintergründe der Akteure zeichnen eine perfekte Blaupause für eine Diskussion, in der die Widersprüchlichkeit ein nötiges Übel darstellt, um das so weit um sich greifenden Thema Wasser erst begreifbar zu machen.

Die Hard Facts: Wasser? Zuhauf!

Aber beginnen wir bei den Fakten, bei unumstößlichen Daten, die uns einen Ausgangspunkt für unsere Gedankengänge zum Thema liefern.

Der Planet Erde fasst unglaubliche 1,4 Milliarden km³ Wasser – 1 km³ ist gleich 1 Billion Liter. 97,5 % davon sind Salzwasser, hauptsächlich Füllmaterial für unsere Ozeane; die restlichen 2,5 % sind Süßwasser. Doch nur 0,78 % der Gesamtwassermenge kann von uns als Trinkwasser genutzt werden; der Rest befindet sich eingeschlossen im Eis der Arktis und Antarktis oder in tief liegenden Grundgewässern.

Klingt – vorsichtig ausgedrückt – nach reichlich Wasser, um noch die nächsten Milliarden Jahre zu überleben, bevor unsere Erde wohl von der Sonne geschluckt wird. Darin waren sich unsere Experten auch einig: Das Trinkwasser wird uns nicht ausgehen.

„Wir werden es in Zukunft dann vielleicht von den Meeren beziehen, nachdem es durch Anlagen entsalzt wurde“, so BWT-Vertriebsmann Gruber, „das schmeckt zwar nicht, aber rein um des Trinkens willen sind wir versorgt.“

Die Insel der Glückseligen

Und gerade mit Blick auf die Alpenregion sind sich zwei der Experten – der Wirtschafter Hofer und der Forscher Niedrist – einig, was an diesem Abend ein rar gesätes Ereignis darstellen sollte. Immerhin befinden wir uns mit den Alpen im Wasserschloss Europas – bevor uns das Wasser ausgeht, liegen die Gebiete im Alpenvorland schon längst auf dem Trockenen.

Da wir uns auf unserer Insel der Glückseligen voraussichtlich keine Sorgen um unsere Wasservorkommen machen müssen, greift laut Hofer das Argument, dass der Wasserverbrauch der Schneeerzeugungssysteme zunächst in den Hintergrund rücken sollte. Beschneite Pisten im Winter sichern Arbeitsplätze und Existenzen – ein Luxusgut wie der Wintertourismus ist somit auch „Ressource“; es kommt nur darauf an, wen man fragt. 

Überhaupt sollten wir bei Beschneiungsanlagen nicht von Wasserverbrauch sprechen: „Das Wasser wird nicht verbraucht, sondern genutzt. Immerhin wird es als Schnee der Natur zurückgeführt und versickert in den Böden.“

Eine These, die laut Niedrist gehörig Raum für Interpretationen übriglässt. Denn so wie wir genügend Wasser haben, so verteilt sich dessen Verfügbarkeit ob des Klimawandels mittlerweile anders als noch vor wenigen Jahrzehnten. Als eindrückliches Beispiel dient das letzte Dreivierteljahr: niederschlagsarmer Winter, auch Frühjahr und Sommer waren überaus trocken.

Extremwetterphänomene zwischen moralischen und gesetzlichen Pflichten

„Die Extremwetterphänomene, wie wir sie kürzlich in den Marken erlebt haben, häufen sich auch im Alpenbereich. Dürren wie in diesem Sommer und übermäßige Niederschläge in kurzen Zeitspannen lösen nach und nach das bisher ausbalancierte Verhältnis ab. Heiße und trockene Sommer werden öfter vorkommen. In 20, 30 Jahren werden Zustände wie 2022 im Optimalfall durchschnittliche Sommer werden“, mahnt der Forscher in die Runde.

Heißt wiederum, dass gerade in den warmen Monaten des Jahres, Trink- und Nutzwasser ein knappes Gut wird, von dem nicht nur unsere Wirtschaft abhängig ist, sondern auch jene in den südlicheren Regionen des Stiefelstaates. Tatsächlich besteht, laut Niedrist, „für uns als Quellregion des Wassers im Oberetsch-Bereich die moralische, aber auch gesetzliche Pflicht, genügend Wasser für die Po-Ebene übrigzulassen.“

Um unseren Nachbarn, aber auch unseren glücklichen Wasserglücksinselbewohnerinnen und -bewohnern in Zukunft genügend H₂O zu garantieren, bedarf es der Innovation. Als erster Reflex bilden sich so vor unserem geistigen Auge Bilder technologischer Neuerungen, die unter anderem aus den potenziellen Synergien zwischen den Wirtschaftszweigen wie Industrie und Landwirtschaft entstehen könnten.

Doch auch hier fungieren die Argumente der Experten eher als Euphoriebremse denn als Hoffnungsträger.

Neue Technologien ja … aber doch nicht

Wasseraufbereitungssysteme, um Schneekanonen mit aufbereitetem Wasser, womöglich Klärwasser, statt Trinkwasser zu speisen? Geht nicht: In ausgewiesenen Trinkwasserzonen dürfe nur Trinkwasser zu technischem Schnee verarbeitet werden. Außerdem befänden sich Kläranlagen naturgemäß in den Tallagen. Das Wasser in die Höhen zu pumpen, brächte einen immensen Energieaufwand mit sich.

Wie steht es um nachhaltige Tröpfchenbewässerung in der Landwirtschaft? Eigentlich sei die Technologie schon ausgereift und 70 % der Landwirte in Südtirol verfügen bereits über die entsprechenden Systeme. Nur sei der Wille, diese einzusetzen, aus mehr oder weniger nachvollziehbaren Gründen noch nicht da. Ironischerweise könnte gerade der letzte Sommer aber den „Brandbeschleuniger“ für ein Umdenken darstellen.

Nur zwei praxisbezogene Theorien, die aufzeigen, dass mit technologischer Innovation noch lange nichts getan ist. Technologischer Fortschritt im Zeichen der Umwelt ist schon lange in vielen Sektoren verankert, das wunderbare Kunstwort Kreislaufwirtschaft hat sich unter anderem daraus herausgebildet. Denn dies sorgt nicht nur für eine nachhaltige Welt, sondern auch für nachhaltigen Profit. Es ist die Perspektive der Allgemeinheit, die sich ändern muss, gesellschaftliche Innovation sozusagen.

Gesellschaftliche Innovation als Motor

Und hier stellt sich schließlich eine Grundsatzfrage, die uns Ottonormalverbraucher, mal mehr, mal weniger, in ein Dilemma stürzt: Wie können wir unseren Lebensstil erhalten und gleichzeitig nachhaltig leben?

Wir wollen Trinkwasser – aber bitte nicht das scheußliche entsalzte Wasser aus der Anlage, sondern unser geliebtes Quellwasser.

Wir wollen Skifahren – und bitte auf perfekt planierten Pisten mit reichlich Schnee.

Wir wollen unsere herrlichen Südtiroler Äpfel – aber bitte groß, saftig und mit optischer Makellosigkeit gesegnet. 

Es sind also die Nuancen, die unsere Antwort über den zukünftigen Umgang mit der Ressource Wasser bestimmen. Nuancen, die uns verschiedene Schattierungen von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und – was in dieser Debatte etwas untergegangen ist, aber dennoch eine wesentliche Rolle spielt – politischen Interessen aufzeigen, die an mehreren Punkten miteinander verfließen und zusammenspielen. Das Wie lässt sich nur schwer in absoluten Statements zusammenfassen. Nur eines ist ganz sicher: Wasser ist unbegrenzt; aber unter voraussehbaren klimatischen Bedingungen doch (vorübergehend) endlich. So viel zur Ausgangslage.