Interview: "Das ist ein Clown, was kann der mir schon tun"

Andreas, du arbeitest normalerweise nicht mit Unternehmen, sondern eher mit Altersheimen, Psychiatrien oder sozialen Einrichtungen. Wir würdest du die Erfahrung mit einem Unternehmen wie unserem – einem KMU, wie es im Buche steht – einordnen?

Ihr seid ein junges Team, das einen Entwicklungsprozess durchläuft, der nun mindestens zwei, drei Jahre andauert. Ihr seid mittlerweile personell gewachsen, das letzte Mal, als ich hier war, waren noch weniger Menschen im Unternehmen. Sagen wir es so: Die Vorbereitung des Workshops war nicht explizit auf die Erweiterung des Teams ausgerichtet. Der Tag war schon 2020 geplant und es ging um die Fehlerkultur, aktuell sahen Hannes (Wiedmer, Gründungsmitglied Kreatif, Anm. d. R.) und ich dann aber auch die personelle Veränderung und daraus resultierende Bedürfnisse.

Wir haben viel gespielt. Und gerade beim Spiel zu Beginn, einer Art Prolog, hast du den spielerischen Charakter hervorgehoben. Warum?

Es hat sicherlich einen Einfluss auf euch als Team gehabt, da ihr euch im Zuge meines Coachings intensiver begegnen konntet. Mir war es wichtig, dass ihr im wahrsten Sinne des Wortes miteinander spielt, bevor es ans Eingemachte ging. Ich wollte eure spielerische Kreativität aktivieren. Und ihr habt das sofort zugelassen. Ich hatte schon einen gewissen Vertrauensvorsprung, besonders bei Alexander (Seppi), Patrick (Alber) (Gründungsmitglieder Kreatif, Anm. d. R.) und Hannes, und das hat man gemerkt: Ich konnte ohne Umwege mit euch loslegen.

Wieso war dir gerade die spielerische Komponente so wichtig?

Es gibt die geistige und neurologische Seite vom Spiel. Diese Begriffe liegen nah beieinander: Mit geistig meine ich, das Vermögen zu spielen mit unserem Verstand zu assoziieren und auch eine Art Bewusstsein für den Moment zu entwickeln, ohne dass ich dabei einen Einfluss habe. Und natürlich wollte ich euch körperlich aktivieren, den Blutkreislauf ankurbeln und die Atmung intensivieren.
Die neurologischen Aspekte sind maßgeblich für Flexibilität, für Neugierde. Wenn ich mich innerlich wie äußerlich bewege, dann habe ich viel mehr Ressourcen. Ängste und Hemmungen werden ab-, Neugierde, Lust und Erfahrungshunger hingegen aufgebaut. Es verhält sich gleich wie bei Kindern, Spielen ist ein Grundbedürfnis.

Zentral ging es beim Workshop um eine Optimierung der Fehlerkultur im Unternehmen. Wir sind darin eigentlich ganz gut: Fehler werden akzeptiert und konstruktiv diskutiert. Nichtsdestotrotz gibt es auch bei Kreatif noch Verbesserungspotenzial. Wo hast du dieses ausgemacht?

Das Wichtigste ist Kommunikation – auf analoger, nicht digitaler Ebene. Man sollte digitale Medien im Betrieb, so gut es geht, vermeiden und das direkte Gespräch suchen. Man muss die persönliche, vielleicht auch haptische Interaktion fördern. Wir nehmen so mehr das Gesprochene wahr. Wir erkennen damit viel besser, wie es jemanden geht; warum die Person etwas sagt; wieso sie gerade jetzt etwas sagt; und man spürt Interferenzen im direkten Dialog, die z. B. eine Textnachricht nicht vermitteln kann.

Nun sind wir ein kleines Unternehmen, das durch die interne Philosophie ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fördert. Ich würde sagen, wir sind daher sehr empfänglich für dein Konzept. Wie verhält es sich aber bei größeren, hierarchisch strukturierten Unternehmen?

Das Konzept lässt sich auf solche Unternehmen nur dann übertragen, wenn auch das unmittelbare Bedürfnis besteht. Sollte dieses vorhanden sein, ist es bei Betrieben wie eurem leichter, da die Wege einfacher sind. Bei größeren muss der Wille da sein; das heißt, die Hierarchien müssen abgeflacht werden. Denn im Alltag richten sich die Mitarbeiter direkt danach, was von der Geschäftsführung vorgegeben wird, sie haben nicht so einen großen Einfluss auf die Entscheidungswege. Ihr habt den Leitsatz gewählt, auf einer Ebene zu agieren, wobei die Geschäftsführung nur punktuell eingreift. Aber wie du sagst: Verbesserungspotenzial gibt es immer, bei euch habe ich die Kommunikation ausgemacht.

Kannst du uns ein konkretes Beispiel geben, wo Problematiken mit der Vermittlung deines Konzepts auftauchen könnten?

Ich habe einmal mit einem Unterhändler eines großen Konzerns gearbeitet. Er musste mit einem Land, also der Regierung eines Staates, verhandeln, in dem man die Elektrifizierung der Eisenbahn vorantreiben wollte. Es ging um Summen, die in die Milliarden gehen. Der Unterhändler hätte die Regierung besagten Landes von politischen Inhalten überzeugen sollen. Expansive Wirtschaft und geopolitische Interessen sind für mich Großkaliber, bei denen mein Konzept an seine Grenzen stößt. Humor als integraler Bestandteil meiner Inhalte kann hier nicht mehr viel ausrichten. Denn ich glaube, dass Humor und seine Möglichkeiten stark an Fähigkeiten wie Mitgefühl und Achtsamkeit gebunden sind. Bei politischen Konflikten und wirtschaftlichen Prozessen in Bezug auf Staaten oder Großkonzernen wandern diese Eigenschaften in die zweite Reihe.

Gerade da werden sich hierarchische Strukturen besonders auswirken …

Zu gewissen Strukturen gelange ich gar nicht hin. Ich arbeite normalerweise mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich habe schon des Öfteren Workshops in großen Unternehmen gegeben, wo sich die Geschäftsführung von vornherein abgekapselt hat. Diese bucht sich dann lieber einen eigenen Spezialisten, der noch renommierter ist und noch mehr Referenzen aufweisen kann – und um das Vielfache teurer ist. Zudem halten diese Ebenen Coachings untereinander ab, ohne die Ebene darunter miteinzubeziehen.
Ich ich denke, dass mir auf diesen Ebenen die Kompetenz fehlt. Ich kann Persönlichkeiten stärken, individuell arbeiten – das ist mein Kompetenzbereich.

Also waren wir sozusagen die ideale Klientel?

Bei euch hatte ich einen direkten Draht. Ich konnte sofort persönliche Beziehungen aufbauen und vermitteln. Ihr wiederum konntet direkt etwas von mir mitnehmen. Das ist genau die Umgebung, in der ich wirken kann.

Wie schaffst du, obwohl du in der Gruppe arbeitest, trotzdem einen Zugang zu jedem Individuum? Wie schaffst du diesen Spagat zwischen Gruppe und Einzelperson?

Das mache ich sofort zu Beginn, falls du dich erinnern kannst: Ich frage jeden Einzelnen nach Namen und ein paar biografischen Details.

Tatsächlich merkst du dir Namen sofort. Das ist schon beeindruckend …

Klar, das muss ich auch. Es macht einen großen Unterschied, ob ich jemanden direkt ansprechen kann oder nicht. Wenn ich sagen kann: „Du, Thomas!“ oder „Du, Martina!“, dann löst das bei der Person eine gewisse Respekthaltung aus, sie erhält Anerkennung. Übersetzen lässt sich das in: „Ich sehe dich. Ich spüre dich.“
Dann frage ich gerne Dinge wie den Familienstatus. Es ist unheimlich spannend, ob jemand verliebt, verlobt, verheiratet oder geschieden ist. Hat die Person Kinder? Das sagt sehr viel aus.

Sind die teilnehmenden Personen immer kooperativ oder gibt es manchmal Hemmungen?

Schwierig wird es erst, wenn komplexe Hintergründe das verhindern, z. B. Autismus. Ich habe viel mit Autisten gearbeitet; mit ihnen ist die persönliche Begegnung nur mit viel Zeit möglich. Sie greifen auf Imitation zurück: Die Personen haben angefangen mich zu imitieren und so einen eigenen Zugang zu mir aufgebaut. So erfassen und verarbeiten sie die Information, wie ich fühle, wer ich bin.
Außerdem stehe ich Allen Freiräume zu. Jeder darf sich seinen benötigten Raum nehmen bzw. eingrenzen. Blockiert jemand die Räume der anderen oder nimmt sich zu viel davon, dann greife ich ein.

Passiert das öfters?

Eigentlich ist das eine Art der Fairness, die die meisten Menschen eingehen können. Natürlich gibt es jene, die mit der Einstellung ich, ich, ich durchs Leben gehen. Aber da kann ich sagen: Das geht nicht. Wir sind eine Gruppe, es gibt keine Bevorzugung, auch wenn du vielleicht wirklich etwas Besonderes bist.

Du arbeitest sowohl als Coach als auch als Clown. Vom Ansatz her verfolgen sie jeweils grundverschiedene Konzepte: Der Coach geht in die Tiefe und versucht, über mehrere Schritte die Personen zu erreichen; der Clown hingegen muss auf eine unmittelbare und oberflächlichere Art und Weise Zugang schaffen. Wann ist eine Figur angebracht, wann die andere?

Beide, der Coach und der Clown, müssen eine Performance liefern. Es braucht bei beiden eine gewisse Körpersprache, die die Menschen verstehen. Als Clown rede ich wenig und arbeite sehr intuitiv. Ich mache eher Geräusche, habe aber nichtsdestotrotz einen Adressaten. Dieser geht auf mich auf einer ganz anderen Ebene ein. Es unterscheidet sich jedoch sehr von Altersklasse zu Altersklasse: Menschen ab 50 sind eher empfänglich für Clowns, darunter wird es zunehmend schwierig. Die Begegnung mit den Menschen ist, ob Clown oder Coach, aber ähnlich.

Wie reagieren die Menschen darauf? Die Figur des Clowns wird in der Gesellschaft eher ambivalent wahrgenommen.

Ich bin vor ein paar Tagen in einem Seniorenheim aufgetreten. Ich habe ein Lied gesungen, in dem es um Abschiednehmen ging. Ein Mann hat direkt neben mir geweint. Ich habe ihn gefragt, wieso er denn weine. „Meine Frau ist gestorben.“ Was könnte ich mir als Mensch mehr wünschen, als dass mir jemand so etwas anvertraut. Er teilt ein Gefühl, das sehr stark mit Liebe in Verbindung steht – der Liebe zu sich selbst und der Liebe zu seiner Frau. Das ist spontan aus ihm rausgekommen, ich hatte es nicht gewusst, erwartet oder forciert. Und es saßen andere Menschen am Tisch, die das alle mitgekriegt hatten und ehrlich mitgefühlt haben. Ich habe in diesem Moment als Clown eine vermittelnde Rolle zwischen dem Mann und den anderen eingenommen und indirekt deren zwischenmenschliche Beziehung auf positive Art und Weise beeinflusst. Und das habe ich bei euch als Coach auch – da kommen eben die intimen biografischen Fragen ins Spiel.

Glaubst du, die Tatsache, dass du als Fantasiegestalt neben diesem Mann gesessen hast, hat es diesem erleichtert, dir diese Information mitzuteilen. Ist es leichter, sich einer nicht realen Figur zu öffnen als einem Mitmenschen?

Du hast teilweise recht, aber der Clown ist keine Fantasiefigur, sondern eine reelle, archetypische Figur wie ein Magier, die Mutter oder Heilige. Das sind alles Figuren, die in unserem Unterbewusstsein – frei nach Freud und Jung – tatsächlich existieren. Sie kommen seit Jahrtausenden in jeder Kultur im gleichen Kontext vor. Und weil der Clown eigentlich in jeder Kultur harmlos ist, kann es durchaus sein, dass der Gedanke vorherrscht: Das ist ein Clown, was kann der mir schon tun. Der ist nicht ganz von dieser Welt, auch nicht ganz berechenbar, aber er hat eine Symbolwirkung auf mich. Diese Symbolwirkung löst beim Menschen Tatendrang aus: „Tu es! Jetzt!“ Der Clown übernimmt oft das Scheitern stellvertretend für den Menschen. Der Clown leidet, der Clown liebt – genau wie Menschen. Er impliziert Gleichheit. Da ist es leichter, aus sich hinauszugehen. Ähnlich verhielt es sich beim letzten Spiel bei unserem gemeinsamen Workshop, als ihr spontan zu Bollywood-Musik tanzen solltet. Alle haben mitgemacht, alle haben beigetragen, alle wurden akzeptiert – alle waren im Spiel gleich.