Storytelling: Über die Bibel und andere Unternehmensgeschichten

[Dieser Artikel ist der zweite Artikel zum Thema Sprache im Web. Hier gelangt ihr zum ersten Artikel der Reihe.]

Moses war auf gut Südtirolerisch “a ormer Hascher”. Der gute Mann wurde von einer höheren Kraft, einer inneren Stimme, dazu beauftragt, ein ganzes Volk von der Sklaverei zu befreien und dieses in das gelobte Land zu geleiten. So einfach das klingt, umso schwieriger erzählt es die Bibel. 

Denn die Israeliten waren ein launisches Volk, durchtrieben, impulsiv, manchmal naiv – im Grunde eine rebellische Rasselbande, die allzu oft nicht verstanden, was der bärtige Mann mit dem Stock in der Hand von ihnen eigentlich will. 

Ein Motiv, das bis heute jedes Kind kennt und sich durch alle drei Weltreligionen zieht, ist jenes der Zehn Gebote. Auf ein paar Tafeln hat Gott Moses Regeln diktiert, an denen sich das auserwählte Volk halten solle. 

Storytelling: Schluss mit Langeweile 

Regeln also, eingebettet in einer spannenden, mitreißenden Geschichte über Sklaverei, Tod, Glaube und Hingabe. Und sinnbildlich dafür, welche Rolle Geschichten und Erzählungen schon seit jeher in unserer Entwicklung einnehmen. 

Denn hätte man den Menschen einfach jene Regeln von 1 bis 10 vorgeleiert, hätten die meisten wohl schon ab Gebot Numero 5 gelangweilt den Sandboden vollgekritzelt. Die Geschichte drum herum hingegen fasziniert den Zuhörer, ihr Spannungsbogen, ihre Struktur erweckt in uns Menschen einen Drang, den Worten zu folgen – und sie sich leichter zu merken. 

Willkommen beim Storytelling. Storytelling ist ein ganz simples englisches Wort und bedeutet Geschichtenerzählen. Während Geschichtenerzählen einen weit umfassenderen Rahmen füllt, so wird der Anglizismus heute besonders im Marketing und in der Unternehmenskommunikation verwendet.  

Antikes Marketing als Vorbild 

Die Idee hinter dem Storytelling ist simpel: Über eine Erzählung, die ihre Zuhörerinnen begeistert und für sich einnimmt, werden wichtige Informationen vermittelt, die bestenfalls umfassend in unseren Köpfen gespeichert werden müssen. 

Gerade textbasierte und mündlich überlieferte Religionen erweisen sich dabei als ein Art Vorläufer gelungenen und effizienten Marketings über Storytelling. Mit den ganzen Regeln und Geboten, aufgelistet in einer vorzeitlichen Exceltabelle könnten die meisten Menschen wenig anfangen. 

Zu trocken, zu mühsam wäre es, jeden Punkt nach und nach zu lesen, zu verstehen und auswendig zu lernen. Werden diese Punkte aber geschickt in eine Geschichte eingefügt, die das Ganze zu einem greifbaren, verständlichen Gefüge vermengt, das wiederum Spannung und emotionale Verbundenheit hervorruft, dann bleiben diese Punkte auch hängen.  

Auf diesen Grundsätzen basiert auch das Storytelling, wie wir es heute kennen. Storytelling ermöglicht Unternehmen, Vereinen oder Institutionen komplexe, bisweilen langweilige, unterm Strich aber außerordentlich wichtige Informationen an Kunden, Mitgliedern oder die Bevölkerung zu vermitteln.  

Geschichten als Instrument zur Kundenbindung 

Die Macht der Erzählung wird dabei aktuell noch teilweise sträflich vernachlässigt. Besonders in der Privatwirtschaft, wo jeder Cent gezählt und abgewogen wird, findet die Idee, ein paar nette Geschichten zu erzählen, oft noch wenig Anklang. Dabei hat gerade unser Kulturkreis mit der Bibel das perfekte Beispiel dafür geliefert, wie eine gut erzählte Geschichte Menschen für die eigene Sache begeistern kann.  

Unternehmen profitieren von einer gut erzählten Geschichte rund um ihre Firma, ihr Produkt, ihre Mitarbeiter und, was es sonst noch zu erzählen gibt, auf mehreren Ebenen.  

• Zunächst entsteht eine emotionale Bindung zum Unternehmen. Durch nahbare Anekdoten, Protagonisten und Inhalte werden bei den Lesern positive Emotionen hervorgerufen, die direkte mit dem Unternehmen verbunden werden. 

• Es entsteht (erzählte) Transparenz. Klar, eine Geschichte lebt auch von ihren Übertreibungen und bildhafter Sprache, die die Wahrheit immer ein wenig zurechtrückt. Jedoch benötigt eine Geschichte auch negative Aspekte. In diesem Fall etwa Probleme mit dem Produkt, interne Herausforderungen, externe Versäumnisse – die dann wiederum im Zuge der Erzählung gelöst werden. So entsteht das Gefühl beim Leser, nicht das übliche, makellose, werbeoptimierte vor sich zu haben; sondern einen Ort, an dem auch nur Menschen tätig sind.  
• Am allerwichtigsten und eine Zusammenfassung der oberen beiden Punkte: Geschichten schaffen Vertrauen. Durch die emotionale Bindung und die Transparenz bauen Kunden ein Vertrauensverhältnis zum Unternehmen auf. Jemand, der gute Geschichten erzählen kann, hat a priori einen gewissen Bonus bei den Menschen. Tut er dies mit Authentizität und einer guten Erzählstruktur, lassen sich Zuhörer einfangen und diese bauen unbewusst ein Vertrauensverhältnis auf.  

Um gutes Storytelling im Unternehmen voranzutreiben, bedarf es zunächst guter Quellen. Der Ursprung der Geschichte beeinflusst, welche Zielgruppe damit angesprochen wird und den Zweck der Geschichte selbst.  

Die E-Learning-Plattform Pinktum hat diese Quelle in vier Kategorien eingeteilt: 

• Mitarbeitergeschichten 

• Kundengeschichten 
• Unternehmensgeschichten 
• Produktgeschichten 

Je nachdem, wen man mit der Geschichte ansprechen will, wählt man eine Kategorie aus.  

Hier sind die Grenzen fließend. Es ist schwer, eine Kategorie genau einer Persona zuzuteilen, zumal man sich und sein Unternehmen in Sachen Kommunikation unnötig eingrenzt. Jedoch gibt es bei jeder der vier Kategorien Ansatzpunkte, die sie für jeweils eine Zielgruppe geeigneter macht. 

Unbewusst bewusste Entscheidungsfindung 

Das Storytelling ist ein umfassender, aber auch sehr mutiger Ansatz. Immerhin bezahlt man jemand dafür, dass er Geschichten schreibt – jedoch lässt sich nur schwer ermitteln, inwiefern diese Geschichten die Zielgruppe – sei es eigene Mitarbeiter oder Kunden – letztlich erreicht.  

Hatte die Geschichte die gewünschte Wirkung? Haben Menschen sich vom Inhalt und der transportierten Emotion beeinflussen lassen? Es wird wenige geben, die auch auf Nachfrage hier keine klare Antwort geben können. 

Aber genau das ist Storytelling: Es löst Emotionen aus, es ruft subtil den Drang zur Handlung hervor und verbindet unser Unterbewusstsein durch das Narrativ mit dem Unternehmen. Nehmen wir an, ihr habt einen Onlineshop, wird sich wohl kein Kunde nur wegen einer Geschichte zu einer Bestellung bewegen lassen – aber das Storytelling ist keine unmittelbare Strategie. Es wirkt nachhaltig. 

Denn stößt der interessierte Kunde in einem zweiten Moment auf den Shop, dann hat er trotzdem diese Geschichte auf eine Art oder die andere im Hinterkopf. Und stimmt die Customer Experience im Shop zusammen, dann kann dieses Element, das im Hinterkopf herumgeistert, den entscheidenden Schubs in Richtung Bestellung geben.  

Fragt man diese Person nun, wieso sie das Produkt gekauft hat, dann kommt als Antwort doch eher etwas Produktspezifisches. Sie wird sich kaum auf die Emotionen berufen, die sie beim Lesen hatte. Vielleicht erinnert sie sich nicht mal genau daran. Nichtsdestotrotz stehen eine positive Einstellung zu einem Unternehmen und die Geschichten, die darum gesponnen werden, in einem direkten Zusammenhang.  

Fazit 

Die Parallelen zur Wirkung der Bibel auf unsere Gesellschaft – egal ob gläubig oder nicht – sind kaum von der Hand zu weisen. Hätte die ganze Bibel den Aufbau wie zum Beispiel das Regelbuch Levitikus, hätten sich wohl wenige so von ihrem Inhalt begeistern lassen. Das Buch und die darin festgelegte Religion hätte die Jahrtausende kaum überdauert.  

Gleiches gilt für euch: Wäre euer Unternehmen nur eine Produktpallette, ohne schöne Geschichten drum herum – vielleicht kennt man euch, aber vergisst auch schnell. Durch Storytelling bleibt ihr auf die eine oder die andere Art und Weise in den Köpfen der Menschen – und seid nicht nur ein Produkt, sondern eine Geschichte. 

[Dieser Artikel ist der zweite Artikel zum Thema Sprache im Web. Hier gelangt ihr zum ersten Artikel der Reihe.]