Tonalität: Baby Talk für Unternehmen

[Dieser Artikel ist der zweite Artikel zum Thema Sprache im Web. Hier gelangt ihr zum Einleitungsartikel der Reihe und dem ersten Artikel über Storytelling.]

Babys können bekanntlich nicht sprechen. Das liegt daran, dass sie gerade auf die Welt gekommen und weitaus mehr damit beschäftigt sind, alles zu beobachten und mit ihren riesigen Kulleraugen bis in die Unendlichkeit anzustarren. Vielleicht liegt es auch daran, dass Sprache etwas Hochkomplexes ist und es daher mehr als nur ein paar Monate oder wenige Jahre benötigt, um sie zu lernen.

Babys verstehen uns zudem nicht. Das ist auch gut so. Denn sobald wir mit den drolligen Wonneproppen sprechen, dann kommen zumeist nur schwer definierbare Laute aus uns heraus, die an dieser Stelle zu schwer zu verschriftlichen sind und jeder Sinnhaftigkeit entbehren.

Aber halt – das fleischgewordene Michelin-Männchen lacht ja und freut sich, sobald man sich ihm mit quietschender, piepsender Stimme, stupiden Grimassen und einem Overkill an Verniedlichungen zuwendet. Man mag es kaum glauben: Es gibt dafür sogar einen wissenschaftlichen Begriff. Baby Talk.

Tonalität: Der richtige Ton für eure Zielgruppe

Und Baby Talk ist in diesem Artikel der Ausgangspunkt dessen, worüber wir hier sprechen wollen. Tonalität. Oder in unserem Fall, da es um verbale Kommunikation geht und Tonalität in der Unternehmenskommunikation als Begriff umfassender ist, um Tone of Voice. Was uns wieder zum Baby Talk bringt, dazu weiter unten aber mehr.

Der Tone of Voice ist innerhalb der verbalen Kommunikation (also schriftlich und mündlich) eines Unternehmens das Zusammenspiel aus Stimmung, Zielgruppensprache und Corporate Language. Durch die Vermengung dieser Faktoren erhält die verwendete Sprache eine Färbung, schafft eine Gesprächsatmosphäre und erfüllt einen gezielten Zweck.

Jedes Unternehmen hat eine oder mehrere Zielgruppen, an die sie ihre Produkte oder Dienstleistungen verkaufen wollen. Zielgruppen unterscheiden sich auf verschiedenen Ebenen, also Alter, Geschlecht oder kultureller, sozialer oder beruflicher Hintergrund. Je nachdem, welche dieser Charakteristiken einer Persona – also der aufgrund seiner Eigenschaften hypothetisch wahrscheinlichste Käufer – zugeordnet werden können, ändern sich die Annäherungsstrategien der Unternehmen. Kurz gesagt: das Marketing. Und damit auch die Anforderungen des Tone of Voice.

Der Satz von Scarr gilt leicht abgewandelt auch für euere Kunden. So bestimmt der Tone of Voice, wie der Inhalt einer Werbebotschaft oder einer Mitteilung vom Rezipienten erfasst wird. Klingt etwas verworren, ist aber letztlich leicht verständlich. Zunächst muss die Grundlage für einen Tone of Voice geschaffen werden. Ihr erstellt also eine Art Sprachprofil, die Stimme eures Unternehmens, der folgende Punkte zugrunde liegen:

• Wording: Welche Wörter und welche Abwandlungen davon verwendet das Unternehmen, um zu kommunizieren? Die Auswahl der Wörter beeinflusst gezielt die Atmosphäre, die im Austausch mit dem Rezipienten erschaffen werden soll. Soll sie modern und salopp sein? Oder doch klassisch und nüchtern?
• Struktur: Moderne Ratgeber rufen dazu auf, kurze Absätze zu wählen und die Struktur so einfach und geordnet wie möglich zu halten. Damit soll der aktuellen voranschreitenden Lesefaulheit der Menschen entgegengewirkt werden. Jedoch lassen gewisse Inhalte es nicht zu, kurz und prägnant ausgedrückt zu werden, z. B. bei Versicherungen. Jedenfalls beeinflusst die Struktur das Leseverhalten (vollständiges Lesen oder Scannen) und somit die Art der Informationsaufnahme (umfassend oder punktuell).
• Grammatik: Verwenden wir Aktiv oder Passiv? Nominalstil oder doch mehr Verben?
• Anrede: Wollen wir siezen oder duzen? Dies ist eine der fundamentalsten Punkte der ganzen Kommunikation, da hiermit genau festgelegt wird, in welchen „zwischenmenschlichen“ Verhältnis das Unternehmen und der Kunde stehen. Auch wenn der Trend immer mehr in Richtung „Du“ oder „Ihr“ (und damit meinen wir nicht den Pluralis Majestatis) geht, so steht gewissen Branchen letztlich doch das gute, alte „Sie“ ein wenig besser.

Zur Veranschaulichung greifen wir also wieder die Situation mit den Babys auf. Da die Bengel im Grunde nicht viel verstehen, weil sie den Prozess des Sprachenlernens gerade begonnen haben, passen wir unsere Art, mit ihnen zu kommunizieren, an. Wir verwenden einfache Wörter (Wording), einfache Satzstrukturen (Struktur, Grammatik), eine positiv behaftete Tonlage (Wording, Anrede) und schaffen so eine als angenehm empfundene Atmosphäre für das Kind. Wir untermalen das Ganze mit lustigen Geräuschen wie einer Rassel und verziehen unsere Gesichter zu (hoffentlich) niedlichen Grimassen und schwups: Das Baby gluckst vor sich hin und ist zufrieden.

Ein Satz, drei Aussagen

Diesen Ansatz kann mit einem angepassten Tone of Voice auch ein Unternehmen verfolgen und so die Kaufbereitschaft seiner Kunden erhöhen. Denn die verwendete Sprache hat unmittelbaren Einfluss auf das Unterbewusstsein der Menschen, wie eben beim Baby.

Ein Beispiel:

Das Auto fährt über die Bergstraße. Ein formvollendeter Beispielsatz, bar jeder tiefgründigen Aussage, ohne jede Botschaft – einfach ein Satz. Das wollen wir nun ändern:

• Stabil und kraftvoll schlängelt sich das Auto den Weg empor, angetrieben durch die sanften Berührungen der Fliehkräfte gen Gipfel, trotzt Schwerkraft und Luftwiderstand in seinem unwiderstehlichen Marsch in luftige Höhen.
• Unterstützt durch effizienten 4×4-Antrieb ist keine Straße zu steil, kein Terrain zu unwegsam. Das 7-Gang-Automatik-Getriebe sorgt zudem für ein weiches, stimmiges und komfortables Fahrerlebnis.
• So fern und unerreichbar thront der Gipfel in weiter Ferne, geküsst durch den lauen Schein der untergehenden Sonne. Kurve um Kurve ächzt mein Gefährt trabend, polternd und blechern seiner Bestimmung dem Gipfel entgegen.

Wir haben hier drei verschiedene Beispiele davon, wie ein Satz die gleiche Aussage vermitteln kann, sich jedoch verschiedener Stilmittel bedient. Alle drei Sätze haben ihre Existenzberechtigung, sofern sie in einem angemessenen Kontext gebraucht werden.

Der erste Satz vermittelt Kraft und Stärke, personifiziert das Auto und verleiht ihm Selbstständigkeit. So oder so ähnlich könnte dieser Satz in einem Roman über einen Roadtrip stehen.

Der zweite Satz hingegen ist nüchtern, faktenorientiert, unterstrichen durch emotional angehauchte Nuancen. So könnte ein Testfahrer sein Fahrerlebnis in seinem Artikel für ein Automagazin verfassen.

Der dritte Satz bringt eine stark lyrische Komponente mit. Die bildhaften Adjektive vermitteln eine gewisse Romantik und Melancholie. Wir fühlen uns selbst in dieses offenbar alte, verbrauchte Auto versetzt und nehmen an der wohl letzten Reise des Gefährts teil. Auch hier erkennen wir eine stark erzählerische Komponente, eine Beschreibung, wie man sie in einem Drehbuch finden kann.

Fazit

Wie ihr bemerkt: Jeder Satz beschreibt die Ausgangsaussage auf verschiedene Art und Weisen und spricht so verschiedene Zielgruppen an. Die Leser begleiten andere Eindrücke, unterschiedliche Erwartungen und verschiedene Stimmungslagen beim Erfassen der Wörter.

Und genau so funktioniert der Tone of Voice: Indem wir verschiedene Wortarten in verschiedenen Reihenfolgen, mit verschiedenen Stimmungslagen, in verschiedenen Rhythmen aneinanderreihen, können wir Inhalte auf eine bestimmte, den Lesern angepasste Art vermitteln. Und um zu wissen, welche Art zu den Lesern passt, müssen wir zuvor genau wissen, wer unseren Text lesen wird respektive soll.

Wie bei der Kommunikation mit unseren Kleinsten müssen wir uns auch bei der Kommunikation mit unseren Kunden und Mitarbeitern genau im Klaren sein, wen wir gerade vor uns haben und welche Informationen diese Person benötigt. Und wir müssen darauf achten, wie diese Informationen verpackt sind, sodass wir die gewünschte Reaktion von unserem Gegenüber erhalten.

Eine festgelegte, gut dokumentierte Tonalität hilft dabei, die Unternehmenskommunikation auf ein neues Level zu heben. Es steigt die Überzeugungskraft für Neukunden und die Bindung bestehender Kunden, die sich durch das Narrativ rund um das Produkt oder der Dienstleistung direkt angesprochen fühlen.

[Dieser Artikel ist der zweite Artikel zum Thema Sprache im Web. Hier gelangt ihr zum Einleitungsartikel der Reihe und dem ersten Artikel über Storytelling.]