UX-Writing: Straßenbeschilderung fürs Web

[Dieser Artikel ist der dritte Artikel zum Thema Sprache im Web. Hier gelangt ihr zum Einleitungsartikel der Reihe und den Artikeln über Storytelling und Tonalität.]

Die Sprache im Web entwickelt sich vielfältig und findet darin verschiedenste Verwendungs- und Anwendungszwecke. Als Werbung soll sie verkaufen, als Blogs soll sie informieren und auf Websites soll sie von allem etwas. Aber es kommt gerade auf Websites und Plattformen noch ein wichtiger Bestandteil dazu: Die Sprache soll den Weg weisen.

Auf den sich ständig verändernden Webplattformen ist eine freundliche UX das A und O einer guten User Journey. Finden sich eure Nutzer nicht auf der Seite zurecht, dann kann ihre Stimmung schnell umschlagen. Eine verworren aufgebaute Website bedeutet nämlich: Frust.

Um diesem Zustand vorzubeugen, muss das Design nicht nur intuitiv angelegte Schaltflächen und praktische Infografiken vorweisen. Eine zentrale Rolle nimmt hier der Text ein, womit wir bei einer Nische der Schreibkunst angelangt sind, die äußerst neu, aber gegenwärtig umso wichtiger ist: das UX-Writing.

Noch nie davon gehört? Kein Problem, das geht vielen so. Es gibt sogar Texter, die bisweilen nicht wirklich etwas mit diesem Begriff anfangen können. Dabei schweben uns UX-Texte permanent vor den Augen herum – wir nehmen sie nur nicht wirklich bewusst wahr (was wiederum für exzellentes UX-Writing spricht).

UX-Writing: Gefahrlos auf digitaler Reise

UX-Writing verbindet die Aussagekraft, die der Sprache naturgemäß innewohnt, mit Ästhetik und Funktionalität. Im Gegensatz zum Storytelling gilt hier der Fokus nicht dem Inhalt, nicht den schön ausformulierten Wendungen, nicht dem emotionsgeladenen Narrativ. Gutes UX-Writing glänzt durch knallharte Effizienz und sorgt dafür, dass eure Nutzer mit einer einzigen kurzen Botschaft genau wissen, was sie auf einem Webauftritt tun müssen.

Wenn wir UX-Writing auf Alltägliches herunterbrechen wollen, kommt uns dessen ursprünglichste Form in den Sinn: die Straßenbeschilderung. Eine Straße, ein Weg, jede Route kann von den Ingenieurinnen noch so klug geplant sein; ohne Beschilderung und Wegweiser erreichen wir nicht unser Ziel und wir könnten sogar unerwartet auf Gefahren aufgrund zahlreicher gefährlicher Kurven oder etwa Steinschlag treffen.

Sind es oft stilisierte Abbildungen oder Symbole, die uns auf die Eigenschaften einer Fahrbahn hinweisen, so kommt es auch oft vor, dass kurze, prägnante Wörter oder einfach Ziffern wichtige Zusatzinformationen bereithalten. „Langsam fahren“, „Staugefahr“ oder einfach „Gefahr“: wenige Buchstaben, doch mit Substanz, die wir für eine sichere Reise benötigen – und die uns dank ihrer Kürze nicht vom Fahren ablenken.

„JETZT KAUFEN“: Die Wiege des UX-Writing

Kurz, prägnant, informativ: Auch beim UX-Writing nehmen sogenannte Microcopys eine übergeordnete Rolle ein. Microcopys sind kleine Textblöcke, die mit 1 bis 3 Wörtern, also mit einer minimal gehaltenen Zeichenanzahl maximal viel Information weitergeben. Die Erweiterung davon und im UX-Writing genauso wichtig sind Macrocopys.

Die klassische Microcopy, die wir alle schon einmal in Onlineshops kennengelernt haben, ist „JETZT KAUFEN“, unterlegt von einer Farbfläche, einem sogenannten Button. Ein Produkt des UX-Writing, als es dieses eigentlich noch gar nicht gab.

Man möge jetzt denken: Na gut, das kennt man – und großartig viel Fantasie braucht es bei dieser kurzen Aufforderung auch nicht. Das stimmt – und dann doch nicht. Zunächst sind gerade die einfachsten Dinge zumeist jene, an denen man lange herumgetüftelt hat – um sie letztlich eben so einfach wie möglich zu halten. Außerdem geht es beim UX-Writing nicht nur darum, was in diesem Button drinsteht, sondern auch, wo der Button platziert ist.

UX-Writing allgegenwärtig

„JETZT KAUFEN“ soll aus gutem Grund genau dort stehen, wo es eben steht. Befindet sich der Button nämlich auf der Startseite, über die man erst zum Produktkatalog gelangt, dann kann der Hinweis, mit einem Klick einen Kauf zu tätigen, äußerst irreführend sein. 

Eine äußerst einfache Frage, die sich jeder UX-Writer mal gestellt hat und die auf grundsätzliche Art und Weise diesen Job beschreibt, ist: Ist „JETZT KAUFEN“ auch wirklich die richtige Wortwahl? Nehmen wir an, ihr wollt auf Reisen gehen und sucht nach Unterkünften.

Der Button ist genau da platziert, wo er platziert sein sollte, nämlich am Ende eurer potenziellen Buchung. Ihr wollt jetzt endlich Nägel mit Köpfen machen. Aber finde den Fehler: Die Unterkunft „KAUFEN“ wollt ihr natürlich nicht. Hier bietet sich in der Formulierung eher „JETZT BUCHEN“ an.

Aber auch weniger auffallende Textbereiche fallen unter dem Begriff UX-Writing. Bekommt ihr eine Pushnachricht auf dem Smartphone? UX-Writing. Scheint nach dem Kauf eines Produktes ein Pop-up-Fenster mit Danksagung und Informationen zu weiteren Schritten auf? UX-Writing. Bekommt ihr eine kurze Bestätigung, dass ihr einen Vorgang erfolgreich ausgeführt habt? UX-Writing.

Letzteres bietet sich als weiteres Beispiel an, UX-Writing zu veranschaulichen – diesmal als Macrocopy.

Macrocopys im UX-Writing

„Sie haben sich erfolgreich auf unserem Portal registriert. Ihnen wird ein Bestätigungslink an die von Ihnen angegebene Adresse zugeschickt. Klicken Sie auf den Link, um den Registrierungsprozess abzuschließen.“ – ein langer Abschnitt mit viel Inhalt.

Liest man den ganzen Text, dürfte es auch nicht allzu schwierig sein, was von einem verlangt wird. Der Abschnitt ist verständlich. Aber genau die Sache mit dem Lesen ist die Krux dahinter. Denn mit dem ersten Satz erlangt man falsche Gewissheit darüber, dass nun alles O.K. sei. Ihr brecht das Lesen ab und habt derweil einen grundlegenden Schritt übersehen.

„Wir haben eine E-Mail mit Bestätigungslink zugesendet. Anklicken, um Registrierung abzuschließen.“ Hält man diesen Satz viel kürzer, kann man diesem Problem aus dem Weg gehen.

Zunächst haben wir den obsoleten ersten Satz der vermeintlich erfolgreichen Registrierung weggelassen. Ohne Klick auf den Link ist hier noch lange nichts erfolgreich abgeschlossen.

Zick, zack, abgehackt!

Anschließend haben wir einen Textblock mit 21 Wörtern zu einem knappen Zweizeiler bestehend aus elf Wörtern reduziert. Der Inhalt ist klar verständlich und kann fast nicht übersehen werden – besonders weil der erste Satz eine noch offene Zusatzinformation voraussetzt, die uns fast schon zwingt, auch den zweiten Teil der Botschaft zu lesen.

An diesen äußerst simplen Beispielen kann erkannt werden, welche Funktion das UX-Writing inhaltlich einnimmt. Es soll die User Journey erleichtern; das Design dabei unterstützen, seine Funktionalität einzuhalten; und dem Nutzer den Weg weisen.

Manchmal wird – wie bei jedem Beruf, der mehr oder weniger nach Marketing und Texten klingt – hier synonym der Begriff Copywriting gebraucht. Das ist jedoch weit gefehlt, zumal UX-Writing wahrlich nichts mit Marketing am Hut hat.

Kein Marketing, sondern Design und Handwerk

UX-Writer schreiben keine Werbebotschaften. Sie versuchen nicht, andere Menschen davon zu überzeugen, dass ein Produkt lohnenswert ist. Tatsächlich streifen sich UX-Writer und das Marketing, wenn überhaupt, nur ganz marginal. Sie arbeiten viel enger mit der Design- und der Produktabteilung zusammen.

Gemeinsam mit dem UX-Designer entwerfen sie ein ansprechendes Gesamtbild, das optisches mit sprachlichem Design vereint und wie aus einem Guss erscheinen lässt. Daher müssen UX-Writer ein Gespür für Raum und Form haben – und außerdem möglichst den gleichen Geschmack wie ihre UX-Kollegen aufweisen.

Aber UX-Writer sind auch Handwerker. Wie ein Gärtner seine Hecken stutzen sie ihre sprachlichen Erzeugnisse so zusammen, dass sie sich stimmig ins Ganze einfügen und dabei trotzdem einen Sinn und Zweck mitbringen. Die Devise lautet: so viel Inhalt wie möglich auf so wenig Platz wie möglich.

UX-Writing ist ein Nischenberuf. Er ist neu und nicht immer erschließt sich jedem genau, was eigentlich dahintersteckt. Wie wir schon vorher festgestellt haben: „JETZT KAUFEN“ dürfte für viele nicht mit der Entdeckung eines fünften Elements gleichkommen.

Do it like Google

Doch wie so oft sind es die großen Tech-Konzerne, die das Potenzial hinter zunächst nicht unbedingt einen Mehrwert darstellende Konzepte erkennen. Das „große“ Jahr der UX-Writer ist wohl 2019: Das Reiseportal Booking.com hat sein UX-Writing-Team von 20 auf 60 Personen aufgestockt. Google hat sogar rund 100 unter seine Fittiche genommen. Das allein spricht für sich.

Wir haben in den Artikeln der Reihe „Sprache im Web“ Themen angesprochen, die es schon immer gegeben hat. Storytelling und Tonalität wurden für die digitale Welt nur neu interpretiert, sie wurden für diesen modernen Kontext angepasst und erfolgreich umgesetzt.

Das UX-Writing hingegen ist nicht nur ein komplett neuer Beruf, der eigens fürs Digitale erschaffen – oder daraus geboren wurde -; es ist eine neue Art, schriftliche Sprache zu verwenden. Sie wird nicht nur mehr gelesen, sie wird viel mehr wahrgenommen: als Teil eines visuellen Ganzen, als grafisches Element – und als praktisches Werkzeug auf unsere Reise durch den digitalen Dschungel.

[Dieser Artikel ist der dritte Artikel zum Thema Sprache im Web. Hier gelangt ihr zum Einleitungsartikel der Reihe und den Artikeln über Storytelling und Tonalität.]